Die Asse-Konzerte werden eingestellt
Das Oktober-Konzert im Wolfenbütteler Ratssaal fällt aus
Deutschlands einzige atomkritische Konzertreihe mit überwiegend klassischer Musik verabschiedet sich von ihrem Publikum. Aufgrund der Auflagen für Veranstaltungen kann das für den 25.10.20 geplante Konzert im historischen Ratssaal Wolfenbüttel nicht stattfinden. Wie die beiden Organisatorinnen mitteilen, wird die Konzertreihe coronabedingt eingestellt. „Die gesetzlichen Auflagen für Veranstaltungen passen nicht mehr zu dem, was die Asse-Konzerte wollen. Begrenzter Einlass, Abstand statt Begegnung, Mundschutz statt Sekt und Selters – unter diesen Bedingungen kann eine über Jahre sehr gut besuchte politische Konzertreihe, die Menschen mobilisieren und Möglichkeiten zum Engagement gegen Atomenergie anbieten möchte, nicht weitermachen!“ Hinzu komme, dass sich durch die Coronakrise die Lebensbedingungen vieler Musiker und Musikerinnen verschlechtert habe: „Viele Musiker leben wegen ausgefallener Engagements am Existenz-minimum. Wir Organisatorinnen wollen daher nicht weiter zu einem Anti-Atomkonzert aufrufen, das ohne finanzielle Vergütung stattfindet!“ Ein solches Format sei auch für Nachcorona-Zeiten nicht mehr angemessen.
Die Asse-Konzerte waren 2009 als Anti-Atomkonzertreihe ins Leben gerufen worden. Mit klassischer Musik sollte gegen die Nutzung von Atomenergie protestiert und ein „klingendes Zeichen der Solidarität“ abgegeben werden für die Bevölkerung der Asse-Region, die durch die Lagerung atomaren Mülls im undichten Kali- und Salzbergwerk Asse-II betroffen ist. Das Podium für die in den Jahren 2009 bis 2019 stattfindenden Konzerte organisierten zwei Privatpersonen: Die Hildesheimer Professorin Prof. Dr. Ruth Jäger sowie die Braunschweiger Psychotherapeutin Elisabeth Jürgens. Die beiden übernahmen auch die Finanzierung aller Kosten, einschließlich anfallender GEMA-Gebühren. Öffentliche Mittel sind nicht in die Reihe geflossen.
Obwohl weder Gage, noch Fahrtkosten gezahlt wurden, fanden in den insgesamt 11 Jahren des Bestehens 61 Konzerte statt, in denen sich mehr als 250 Musiker*innen engagierten. Internationale Stars traten hier ebenso auf wie Ensembles aus der Region. Einen der Höhepunkte gestaltete die Münchner Cembalo-Professorin Christine Schornsheim, die den Transport eines historischen Hammerflügels finanzierte und in der Braunschweiger St. Magni-Kirche ein hochkarätiges Solo-Recital mit Werken J. Haydns, C.P.E. Bachs und Zeitgenossen erklingen ließ. Aber auch aus der Hanns Eisler Musikhochschule Berlin, dem Leipziger Gewandhausorchester, der Komischen Oper Berlin, dem Rias-Kammerchor, dem Braunschweiger Staatstheater, aus Darmstadt, Halle, Bremen, Hamburg, Karlsruhe und anderen Städten waren Musiker*innen, teilweise auch Schauspieler*innen zu Gast in der Asse. Der Eintritt zu den Konzerten war frei, am Ausgang wurden Spenden gesammelt. Da die Veranstaltungsräume den Asse-Konzerten mietfrei überlassen wurden, konnten die Spendengelder zu 100% an regionale Anti-Atominitiativen weitergeleitet werden. Über die Jahre kam so ein Betrag von fast 38.000 € zusammen.
Die Asse ist ein Höhenzug in Niedersachsen, wo in den 50er Jahren schwach- und mittelradioaktiver Abfall in einen alten Salzstock eingelagert wurde. Der Bevölkerung wurde glaubhaft gemacht, es handele sich nur um eine vorübergehende Lagerung zu Forschungszwecken. In den folgenden Jahren geriet der kleine Gebirgszug bei Wolfenbüttel immer wieder in die Schlagzeilen und auch der Niedersächsische Landtag und der Bundestag mussten sich wegen Unregelmäßigkeiten und Skandalen mit der Asse-Thematik beschäftigen. 2013 erfolgte ein einstimmiger Bundestagsbeschluss, dass der radioaktive Müll zu bergen sei, weil eine Langzeitsicherheit nicht gewährleistet ist: In den undichten Salzstock strömen täglich tausende Liter Wasser. Zuletzt hatte sich 2019 der Bundesrechnungshof eingeschaltet und u.a. kritisiert, dass 6 Jahre nach diesem Bundestagsbeschluss noch nicht einmal ein Konzept vorliege, wie die Bergung des Mülls geschehen solle. „Während der Laufzeit der Asse-Konzerte ist es hier kaum voran gegangen, was das Herausholen des Mülls betrifft“, so die Organisatorinnen Jäger und Jürgens. „Viele haben Zweifel, ob das überhaupt ernsthaft versucht werden soll.“
Für die Asse-Konzerte ziehen die beiden jedoch eine positive Bilanz: „Natürlich ist es schade, eine erfolgreich laufende Konzertreihe einzustellen! Für 2020 hatten wir ja eigentlich sechs tolle Konzerte, die nun auf unserer Website stehen, ohne jemals erklungen zu sein. Insgesamt aber bleiben Bilder und Melodien von 61 unvergesslichen Veranstaltungen, vollen Konzerträumen und guten Gesprächen beim anschließenden Sekt und Selters. Es ist uns gelungen, eine Verbindung zwischen klassischem Publikum und Anti-Atom-Themen zu schaffen und die Veranstaltungen waren eine große Ermutigung für die Bevölkerung vor Ort und die Bürgerinitiativen. Wir sind zuversichtlich, dass den Anti-Atom-Initiativen auch in Zukunft Unterstützung zuwachsen wird, vielleicht in neuen Formen!